Gastbeitrag: Eine Diagnose ist kein Schimpfwort

Der folgende Text ist ein Gastbeitrag von Sophia. Sie ist Asperger-Autistin und 18 Jahre alt. Wenn Sie nicht grade Gastbeiträge für mich schreibt, studiert sie.


Zur Zeit ist es eine meiner Hauptbeschäftigungen, andere Menschen – vor allem auf Twitter – darauf hinzuweisen, dass die Verwendung des Begriffs „Autismus“ als Beleidigung die Betroffenen verunglimpft. Leider reichen die 140 Zeichen meistens nicht aus, um zu erklären, warum genau ich und viele andere Autisten uns dadurch beleidigt fühlen, daher tue ich das nun an dieser Stelle. Aber um meinen und den Ärger vieler anderer Betroffener zu verstehen, muss man erst mal wissen: Was ist eigentlich Autismus?

Vereinfacht gesagt ist Autismus eine andere Art der Wahrnehmung, bei der die Betroffenen Probleme damit haben, nonverbale Signale wie Mimik, Gestik oder Tonfall richtig zu interpretieren. Normalerweise funktioniert das ganz automatisch, ohne dass man darüber nachdenken muss. Anders bei Autisten: All diese Dinge müssen mühsam erlernt werden. Da aber ein großer Teil der zwischenmenschlichen Kommunikation nonverbal erfolgt, kommt es häufig zu Missverständnissen. So erhält der Satz „Das hast du aber toll gemacht“ je nach Betonung und Gesichtsausdruck eine ganz andere Bedeutung. Betroffene haben durch diese Kommunikationsprobleme häufig Schwierigkeiten, sich in Gruppen zu integrieren und Kontakte zu knüpfen, viele gelten als „Sonderlinge“.

Was ist nun das Problem, wenn der Begriff „Autismus“ als Synonym für arrogantes oder selbstbezogenes Verhalten verwendet wird? Wie bereits beschrieben, haben Betroffene häufig  soziale Schwierigkeiten. Das heißt aber nicht, dass sie kein Interesse daran hätten, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten – sie wissen halt nur nicht, wie das funktioniert. Viele Autisten investieren jedoch große Mühen darin, sich so normal wie möglich zu verhalten und nicht anzuecken. Autisten leben eben nicht in ihrer eigenen Welt und anders als vielfach angenommen sind sie durchaus zu Empathie fähig.

Daher ist es falsch, Autismus mit Arroganz und asozialem Verhalten gleichzusetzen. Wer also – und das muss ja nicht einmal böswillig gemeint sein – Autismus als Synonym für eben jene Eigenschaften verwendet, erzeugt ein falsches und negatives Bild davon, was Autismus ist und trägt zu einer Stigmatisierung der Betroffenen bei. Bitte lassen Sie es also. Danke.

 

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